Gendern
Foto: Priscilla Du Preez

Warum Gendern nervt

Liebe Leser:Innen,

HA! Schon nervt die Ansprache, oder?

Jaja, neuerdings wird Sprache auseinandergebeint, analysiert und mit :Innen und :Aussen versehen, keine Ansprache bleibt mehr wie sie war und lässt einen (eine) nicht nur ratlos, sondern auch oft genervt zurück.

Warum? Nun, ich fürchte, weil wir nichts Neues mehr anfangen wollen.

Ja. Das ist die bittere, einfache Wahrheit: Gendern nervt, weil es anstrengend ist!

Glauben Sie mir, ich sage das nicht leichthin. Mich nervt es schliesslich auch! Ich habe mich intensiv mit der gendergerechten Sprache auseinandersetzen müssen, weil man in der schreibenden Zunft ja nicht darum herum kommt, und ich kam zum Schluss: Es liegt an mir.

Ich mag die Veränderung nicht! Meine Sprache fliesst, so wie sie immer geflossen ist. Nun umdenken und Gendern ist anstrengend! Schliesslich habe ich mich als Frau noch nie nicht angesprochen gefühlt, als es noch hiess: Liebe Leser! Wozu jetzt also dieser Aufstand?

Die Antwort liegt auf der Hand, musste ich mir eingestehen: Es ist höchste Zeit. Moderne Zeit.

Sprache verändert sich. Hat sie immer schon getan. Sprachlich hinken wir der Gesellschaft hinterher, aber sie holt uns unweigerlich ein. Anglizismen zum Beispiel: Sie schlichen sich vor Jahrzehnten leise in unseren Wortschatz ein und sind heute nicht mehr wegzudenken. Cool, oder? Wir kennen die News und was Fake ist, wissen wir alle. Wir scrollen und machen Homeoffice und geniessen die Tage am Pool. Diese englischen Begriffe hinterfragt heute keiner, mit der Globalisierung ist es total normal geworden, aber vor gar nicht so vielen Jahren waren sie in unserem Sprachgebrauch absolute Exoten.

Nun wird es also (höchste) Zeit, dass Sprache alle Geschlechter integriert.

Viele Jahrhunderte in der Vergangenheit waren von Männern geprägt. Zeiten, in denen Frauen keine Mitsprache hatten, keine Berufe, keine Karrieren. Vor 50 Jahren durften Frauen in der Schweiz zwar endlich abstimmen, aber in vielen Betrieben, wie beispielsweise der SRG, durften Frauen keine Fahrzeuge lenken(!). 1966 wurde der Sängerin Esther Ofarim der Zutritt zu einer Hotelbar in Hamburg verwehrt, weil sie einen Hosenanzug trug.

Verheiratete Frauen durften 1970 laut Gesetz nur dann arbeiten gehen, wenn ihre Arbeit «mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar» war. Krass, oder?

Das alles ist gar nicht so lange her. Gleiche Löhne für die gleiche Arbeit sind immer noch nicht an der Tagesordnung, wir haben immer noch ein schönes Stück Weg vor uns.

Dass Frauen ein gleichwertiger Teil der Gesellschaft sind, ist so gesehen also relativ neu. Und die Sprache muss sich diesem Umstand anpassen.

Ich selber habe das erst nach vielen Diskussionen und intensiver Auseinandersetzung mit dem Thema begriffen. Und ich habe mich dabei ertappt, dass mir dieses Anpassen nicht mehr so leicht fällt wie früher. Und tatsächlich scheinen junge Leute gar keine Probleme mit dem Gendern zu haben, es sind Menschen in einem gewissen Alter (hüstel, hüstel) die sich darüber nerven.

Ja, es ist nämlich mühsam, Synonyme und ganz neue Anreden zu finden. Mir persönlich gefällt der Doppelpunkt, lieber Leser:innen, ganz und gar nicht! Also bemühe ich mich, neue Begriffe zu finden. Anglizismen helfen dabei, weil sie neutral sind, liebe Crowd!

Statt die Zuschauer spricht man nun das Publikum an, die Schauspieler sind der Cast, Besucher sind Kulturbegeisterte und Betriebsleiter werden Führungskräfte. Wenn man sich ein bisschen Mühe gibt, macht die Suche nach ungewohnten Anreden sogar Spass!

Letztlich geht es ja hauptsächlich um Achtsamkeit. Die Sprache ist ein gutes Mittel dafür, denn das Wort setzt eine Saat, verankert Gedankengut und treibt neue Blüten. Achtsam mit der Gesellschaft umzugehen, kann nicht verkehrt sein. Ja, es bedeutet Aufwand, wie immer, wenn man etwas Neues anpackt. Aber es bedeutet auch, dass man am Puls der Zeit bleibt und offen, sich mit der Welt mit zu verändern.

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