Wie geht es Dir?
© Tamara Cantieni

Wie geht es dir?

Diese Frage wirft mich jedes Mal komplett aus der Bahn.  WIE GEHT ES DIR? Was soll die Frage? Was meint mein Gegenüber mit «wie gahz?»

  1. Ist die Frage gesundheitlich gemeint?
  2. Ist die Frage psychisch gemeint? Denn das wäre wirklich schwierig.
  3. Oder ist die Frage auf meinen Beruf bezogen?
  4. Oder auf mein Liebesleben? Denn das wäre wirklich wirklich schwierig.
  5. Soll ich nun einen Gesamtabriss über meine momentane Verfassung abgeben?
  6. Oder meint mein Gegenüber GAR NICHTS??

6) stresst mich am allermeisten. Was, wenn mein Gegenüber einfach eine Floskel aufwirft und ich mit 4) antworte?? Was, wenn mein Gegenüber von 1) bis 5) überhaupt nichts hören will? Wechsle ich dann einfach abrupt das Thema und beginne mit der Bankenkrise?? Wenn nur der leiseste Verdacht besteht, dass 5) im  Zentrum seines ehrlichen Interesses gestanden wäre, stünde ich dann nicht wie eine komplette Vollidiotin da?

Und lassen wir mal mein Gegenüber aus dem Spiel. So ganz aus heiterem Himmel weiss ich ja selbst nicht, wie ich 1) bis 5) präzise und ehrlich beantworten sollte! Wie geht es in meinem Beruf? Gut. Was wäre gut?? Eine Lohnerhöhung? Aber ich bin selbständig!! Wäre gut, wenn ich sehr viele Aufträge hätte? Aber dann wäre ich total im Stress und Frage 2) stünde auf viel zu wackeligen Beinen für ein «gut». Ich habe keine Ahnung wie es mir beruflich geht!!! Es ist unheimlich viel Luft nach oben, Hollywood wäre nice. Aber ich kann ja meinen Lebensunterhalt hier mit Unterhaltung verdienen, das ist doch schon auch «gut» und ich bin da wirklich froh drum. Aber ist mein «gut» auch das «gut» vom Gegenüber?

Mein mentaler Zustand wechselt im Sekundentakt. Wie soll ich da eine Antwort finden, wie es mir seelisch geht? Ich weine, wenn ich schöne Schuhe gesehen habe, die ich mir nicht leisten sollte. Und ich lache mich in der nächsten Sekunde kaputt, wenn ich Teenager im Tram belausche. Ich bin mental höchst instabil, fragt meinen Mann!!! Aber trotzdem geht es mir psychisch schon gut, weil ich grundsätzlich auf der positiven Seite stehe. Grundsätzlich ist aber nicht andauernd. Und nun sollte ich spontan beantworten, wie es mir geht. Puh.

Wie geht es mir, im reichsten Land der Welt? Alles, was hier von «gut» abweicht, ist krank. Trotzdem kann ich sauer sein, weil ich die blöde Milch verschüttet habe um 9 Uhr morgens. Unnötig, ist aber trotzdem so. Und wenn noch eine Sehnenscheidenentzündung hinzu kommt, tja … was antworte ich dann?

Die Frage wirft mich aus der Bahn. Fragt mich doch bitte einfach nie wieder, wie es mir geht. GUT FÄTAMMI!!! Das sage ich immer. Ohne das Fätammi natürlich.

Mir geht es gut. Und in meinem Hinterkopf setzt sofort diese ätzende Stimme ein, die ruft: «ABER…!!!!!» Und schon habe ich das Gefühl, ich hätte gelogen. Und dann geht es mir nicht mehr gut.

Das wäre nie passiert, wenn man mich nicht gefragt hätte, wie es mir geht! Aso höred uf!!

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