Thomas Emmenegger Moment

Der Thomas-Emmenegger-Moment

Mein ganzes Umfeld kennt Thomas Emmenegger aus meinen Erzählungen. Name von der Redaktion, also mir, geändert. Thomas Emmenegger war mein Schwarm. Mein Traummann. Ich war mit 12 Jahren grausam in ihn verknallt, aber grausam!! Grausam darum, weil er gut 4 Jahre älter war als ich– ein 16jähriger schaut ein 12jähriges Kind ja nicht mal mit dem Hintern an! Als ich dann 14 war, lernte ich ihn immerhin kennen, aber mehr als Hallo und Tschüss konnte ich ihm nicht abringen.

Ich blieb unerschütterlich in Thomas Emmenegger verliebt. Er arbeitete später in einem Betrieb unweit von meinem Daheim. Zur Mittagszeit stellte ich mich darum mit meinem Velo an die Kreuzung und wartete, bis er auf seinem Mofa vorbeifuhr. Einfach nur vorbeifuhr. Und dann grüsste er mich manchmal. Ich war im Himmel.

Noch später, als ich offiziell erwachsen war, begegneten wir uns endlich auf Augenhöhe, aber das Verliebtsein hatte sich ausgewachsen. Wie das Leben so spielt, trug uns das Leben in unterschiedliche Richtungen und Regionen davon, und wir haben uns nie wieder gesehen.

2 Jahrzehnte später war da dieser Dienstagvormittag. Ich fuhr mit meinen beiden damals noch kleinen, äusserst lebhaften Kindern auf einen Sprung ins Einkaufszentrum. Die Goofen sassen johlend und prügelnd im Einkaufswagen. Ich dahinter, schiebend, mit ausgestreckten Armen und ausgestrecktem Schritt. Mein Look glich dem einer abgehalfterten Crack-Nutte, ungeschminkt in Jogginghosen in einer Zeit, als man damit tatsächlich noch die Kontrolle über sein Leben verloren hatte. Meine Haare trug ich wild, in Form eines vom Rasenmäher überfahrenen Vogelnestes. Schlimmer waren nur noch die Uggs an meinen Füssen, in die ich mich ohne Socken hineingestürzt hatte, um ja keine Zeit zu verlieren. Mit diesem exorbitanten Sexappeal ausgestattet hetzte ich durch die Mall, als ich ihn plötzlich dort im Café sitzen sah: Thomas Emmenegger.

Es war THOMAS EMMENEGGER!

Oh. Mein. Gott! Ich freute mich! Vom Stress- fiel ich umgehend in einen inneren Hüpfmodus und wendete den Einkaufswagen abrupt um 45 Grad in seine Richtung, was meine Goofen fast aus der Sitzfläche schleuderte. Euphorisch steuerte ich auf ihn zu und war bereits gespannt, zu welchem Zeitpunkt er mich wohl erkennen würde – als mir plötzlich einfiel, WIE er mich erkennen würde!

Und mit diesem Gedanken riss ich einen abrupten Stopp.

Die Goofen schleuderte es in die andere Ecke des Wagens.

Vom Hüpf- schaltete ich übergangslos in den Panikmodus und ergriff die Flucht. Ich zerrte den Einkaufswagen in eine 180 Grad-Wende. Die Kinder warf es abermals wie 2 Omelettes herum.

Ich musste weg! Was sollte Thomas Emmenegger sonst von mir denken?! Nicht nur meine Erscheinung, auch das ganze Drumherum wollte einfach nicht zu einem Wiedersehen passen. Ich konnte ihm doch nicht ins Gesicht schreien: ICH SEHE SONST VIEL BESSER AUS, ICH SCHWÖR!!! Und im Hintergrund würden die Goofen schimpfen und Gegenstände werfen, was sie sonst nie taten, und ich würde sagen wollen, dass das hier ein Ausrutscher war! Dass ich mich sonst nie im  Einkaufszentrum tummeln würde im Joggingoutfit, und dass ich sonst eine ganz lässige Frau bin, berufstätig, erfüllt, und dass das alles hier nur ein grosses grosses Missverständnis wäre! ES IST NICHT WIE ES AUSSIEHT, THOMAS!!!!

Aber nein, das alles konnte ich ja nicht sagen. Es blieb also nur der Rückzug.

Im Auto, als ich die Kinder festgezurrt und geknebelt hatte und endlich selber angegurtet am Steuer sass, fiel mir ein, dass ich nun meine Besorgung nicht gemacht hatte. Aber egal. Zurückgehen war keine Option. Nicht solange Thomas Emmenegger dort herumschlich und mich in dieser desolaten Optik antreffen könnte.

Und dann später, zuhause, tat mir alles schrecklich leid. Ich dumme Kuh! Ist doch strunzegal, wie ich aussehe, sonst stelle ich mich doch auch nicht so an! Ich habe Thomas Emmenegger verpasst, und das war bitter und sehr schade.

Verliebt war ich doch längst nicht mehr. Ich wollte ihn auch nicht beeindrucken (ok, vielleicht ein bisschen). Aber ich musste eingestehen, unsere Beinahe-Begegnung hat mir vor Augen geführt, dass ich tatsächlich die ersten kleinen Anzeichen von Verwahrlosung an den Tag gelegt hatte. Mit tausend Ausreden: Stress, Kinder, Haushalt, Job – Fakt war: Ich war zu diesem Zeitpunkt gleichgültig geworden. Ich hatte angefangen, auf mich selbst nicht mehr sonderlich zu achten.

Da habe ich mir geschworen: Es wird nie wieder einen Thomas-Emmenegger-Moment in meinem Leben geben. Ich werde nie mehr aus dem Haus gehen, ohne dass ich mit mir selbst nicht zufrieden bin! Das heisst nicht, dass ich nur noch aufgedonnert in die Öffentlichkeit trete. Ich bin gerne ungeschminkt, wenn es passt und ich es gut finde. Aber nie wieder, weil es mir aus Zeitnot und Achtlosigkeit passiert ist. Ich will mir Zeit und Aufmerksamkeit geben, denn ich will mich gern haben, in jedem Moment. Und ich würde Jogginghosen auf einen neuen Level hiefen, aber das hat ja dann später die Modebranche für mich übernommen.

Das Leben hält immer irgendwelche Überraschungen für einen bereit, man weiss nie wann sie dir vor die Füsse fallen. Man muss, im besten Sinne, immer dafür ready sein! Das ist eine Grundhaltung, ein Gedankengut, das die ganze Lebenseinstellung prägt. Sei bereit für schöne, unerwartete Momente!

Ich halte das ein, Tag für Tag, und es fühlt sich gut an.

Thomas Emmenegger ist mir nie wieder über den Weg gelaufen, so schade. Ich wünschte er wüsste, wie dankbar ich ihm für unser Nichtbegegnen bin. Denn es hat mich daran erinnert, dass ich immer mein bestes Ich sein will.

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