Christoph Stuehn

Christoph Stuehn – Vizedirektor Kunsthaus Zürich

Christoph Stuehn ist seit Juni 2021 Vizedirektor des Kunsthaus Zürich, wo er bereits seit 2018 in der Geschäftsleitung tätig ist. Wir sprachen mit ihm über seinen Werdegang, das Kunsthaus und darüber, was seiner Meinung nach Schönheit mit Kunst zu tun hat. Nicht zuletzt hat auch er uns seine zehn Lieblingsorte verraten.

«Wirtschaft und Kultur beruflich miteinander zu verbinden», das war für Christoph Stuehn «schon lange ein grosser Traum». Der deutsch-schweizerische Doppelbürger, der seit seiner Kindheit Geige spielt, begann seine Ausbildung mit einer Banklehre in Deutschland. Heute ist er seiner Mutter dankbar, dass sie ihn damals davon abhielt, im Anschluss an die Lehre, eine Zweigstelle des Finanzinstituts zu führen, was man ihm damals überraschenderweise anbot. Stattdessen studierte er Ökonomie an den Universitäten in St.Gallen (HSG) und Rotterdam (RSM) und erhielt als Praktikant erste Einblicke in den Bereich Kulturmanagement.

Auf dem Weg zum Vizedirektor im Kunsthaus lagen ein paar «Zwischen»-Stationen, u.a. im Schauspielhaus Zürich, in der Geschäftsleitung des Schweizerischen Nationalmuseums und als Direktor von Memoriav, einem Verein, der sich die Erhaltung und die Erschliessung des schweizerischen audiovisuellen Kulturgutes zur Aufgabe gemacht hat. «Besonders prägend war für mich die Zeit im Schauspielhaus, meine erste mehrjährige Stelle und grosse Herausforderung nach dem Studium», erzählt er uns. «Dort machte ich den Weg vom Direktionsassistenten zum Verkaufsleiter und dann sogar zum Vizedirektor – in den Zeiten von Intendant Christoph Marthaler, als die ganze europäische Theaterlandschaft gebannt nach Zürich blickte.»

«Nach den sehr intensiven Jahren im Schauspielhaus, mit vielen Höhen und manchen Tiefen und zeitweise sehr starker zeitlicher und emotionaler Belastung, habe ich mir ernsthaft Gedanken gemacht, ob ich mein ganzes berufliches Leben im Kulturbereich verbringen möchte.»

Seine Entscheidung fiel positiv aus. «Ich wollte auch in Zukunft einen Beruf ausüben, der sich für mich auch als Berufung anfühlt und bei dem ich jeden Tag einen Beitrag für die Gesellschaft leisten kann.» Dieser liegt aktuell für ihn u.a. darin, dass er an massgeblicher Stelle für eine Institution arbeitet, die einer breiten Bevölkerung den Zugang und die Auseinandersetzung mit Kunst ermöglicht. Christoph Stuehn ist der festen Überzeugung, dass man gerade mit der Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur gesellschaftsrelevante Fragen diskutieren, Reflektionen auslösen und Menschen generell inspirieren und berühren kann.

“Ich habe sehr viel Glück gehabt in meinem Leben»

Neben seiner intensiven Arbeit engagiert sich Christoph Stuehn seit vielen Jahren für Menschen, die ein weniger privilegiertes Leben führen oder aus anderen Gründen Unterstützung verdient haben. «Ich habe sehr viel Glück gehabt in meinem Leben. Es ist für mich eine Herzensangelegenheit, mein eigenes Glück mit anderen Menschen zu teilen, denen es weniger gut geht.»

Seit knapp zehn Jahren engagiert sich Christoph Stuehn im Vorstand der Aidshilfe Schweiz und seit fünf Jahren in der Jury vom Swiss Diversity Award. «Es ist jedes Jahr eine grosse Freude und auch Ehre für mich, Menschen oder Organisationen auszeichnen zu dürfen, die sich in besonderer Weise für Diversität in unserer Gesellschaft einsetzen.» Besonders betroffen macht ihn die derzeitige Situation auf der Welt, mit unvorstellbarem kriegsbedingtem Leid und riesigen Flüchtlingsströmen.

Vor drei Jahren hat er eine zeitlich befristete Patenschaft für einen jungen Geflüchteten aus Afghanistan übernommen, der als 12-jähriger alleine in die Schweiz kam und keine Eltern mehr hatte. «Es hat mir fast das Herz zerrissen, dieses Schicksal zu sehen und mich mit diesem Menschen zu beschäftigen. Ich habe versucht, ein wenig Licht und Freude in sein Leben zu bringen. Heute macht er eine Automech-Lehre und ist gut integriert in Zürich. Es ist ein zwingender Akt der Menschlichkeit, dass wir solchen Menschen helfen.»

Kunst und Schönheit

Nicht zuletzt wollten wir von Christoph Stuehn erfahren, wie er das Thema Schönheit in der Kunst interpretiert. «Schönheit liegt einerseits bekanntlich im Auge des Betrachters; andererseits hat bereits Immanuel Kant festgestellt, dass Schönheit «keine objektive Eigenschaft der Dinge ist» und damit auch keine Allgemeingültigkeit begründet.» In anderen Worten findet er: «Ja, Kunst kann und soll – im Dialog mit dem Betrachter – Reaktionen auslösen, wie Schönheit, Hässlichkeit, Irritation oder Begeisterung.»

Besonders eindrücklich zeigt dies seiner Ansicht nach die aktuelle Ausstellung im Kunsthaus Zürich von Niki de Saint Phalle. «Ihr Lebenswerk ist sehr facettenreich: exzentrisch, emotional, düster und brutal aber auch humorvoll, fröhlich und schön, weil interessant und attraktiv. Schöne Kunst ist für mich Kunst, die – auf attraktive und inspirierende Art und Weise – Fragen stellt, Reflexionen auslöst, Geschichten erzählt und persönlich berührt – wie die beeindruckenden Werke von Niki de Saint Phalle. Allerdings muss Kunst nicht schön sein», ergänzt er. «Im Gegenteil: Es beflügelt meinen Geist mehr, wenn es eine gewisse Irritation gibt.»

Ein anderer spannender Aspekt zum Thema Schönheit ist für Christoph Stuehn, dass die Wahrnehmung und Interpretation dessen, was wir als schön oder hässlich empfinden, viel mit der Kultur und dem Zeitgeist zu tun hat. So waren die damals neuartigen Klänge von Mozart auch viel Kritik ausgesetzt. Ebenso wie die Anfänge der Impressionisten, deren Werke zu Beginn als unvollendet kritisiert wurden.

10 LIEBLINGSORTE

1. Am 1. Pult der zweiten Geige im Orpheum Supporters Orchestra

Musik ist ein wichtiger Teil meines Lebens und hat mein Herz für die Kultur bereits als Jugendlicher geöffnet. Im Orchester gemeinsam zu musizieren ist eines meiner leidenschaftlichsten Hobbys.

2. Auf dem Cross-Trainer

Ich geniesse es mehrmals pro Woche, meinen «Kopf zu lüften» und gleichzeitig etwas Gutes für die Gesundheit zu tun. Am liebsten auf dem Cross-Trainer im Holmes Place – über den Dächern Zürichs.

3. Im Forsthaus meines Bruders

Mein Bruder lebt mit seiner Familie an einem besonderen Kraftort: Auf dem Lande und mitten im Wald. Ich geniesse die Besuche bei ihm sehr – mit ausgedehnten Waldspaziergängen und bodenständiger Hausmannskost.

4. An Anlässen

Es gehört zu den Privilegien meines Jobs und meiner langjährigen Beziehungspflege, dass ich öfters an Eröffnungen, Premieren und sonstigen Anlässen eingeladen bin. Als Netzwerker aus Leidenschaft und neugieriger und breit interessierter Mensch geniesse ich solche Momente in vollen Zügen.

5. In meinem Büro

Neben dem grossen Glück, dass mein Beruf auch meine Berufung ist und ich jeden Tag gerne zur Arbeit gehe, habe ich vielleicht eines der schönsten Büros in Zürich: im oberen Niederdorf mit Blick auf das Grossmünster.

6. Auf der Piazza Grande am Filmfestival

Als grosser Kinoliebhaber gehört der jährliche Besuch am Filmfestival Locarno zu meinem Pflichtprogramm. Die Kinoabende in diesem einzigartigen Ambiente sind durch nichts zu ersetzen.

7. Im Park Güell in Barcelona

Seit meinem ersten Besuch zieht es mich mehrmals jährlich in die pulsierende spanische Metropole. Die Liebesgeschichte begann mit einer spektakulären Aussicht auf Stadt und Meer vom höchsten Aussichtspunkt im Park Güell.

8. Im Café «Les Philosophes» in Paris

Während meiner mehrmonatigen Auszeit in Paris habe ich das französische «Savoir vivre» ausgiebig genossen. Dazu gehörte fast jeden Tag ein Besuch in einem Strassencafé im Marais. Das wiederhole ich bei Wochenendtrips mit dem TGV so oft es geht.

9. Am Letten mit Freunden

Was gibt es Schöneres als ein lauer Sommerabend mit Freunden und Sommer-Cocktails am Zürcher Letten?

10. In der Kirche – beim Konzert

Kirchen besuche ich lieber für Konzerte als für Gottesdienste. Ich liebe Kirchenmusik, wie Kantaten, Passionen oder Messen von J.S. Bach. Der Ort passt dann einfach perfekt zur Musik.

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