Auf Anfrage vom Gentlemag habe ich – natürlich in letzter Sekunde, dann dauert es nur eine Sekunde – drei Tipps für Weihnachten zusammengetragen. Eine Serie zum Wegbingen nach dem Spaziergang, einen Genuss-Tipp mit gutem Gewissen, ein Buch zum Lesen in den Stunden, da man das Smartphone zur Seite legen will. Auf ein 2023 mit Licht und starken Herzen!
Serie: «This England»
Die Streamingplattform Sky entwickelt sich bei mir zur Go-To-Adresse, Netflix gerät ins Hintertreffen. Nicht nur wird man auf Sky demnächst die neuste Staffel von Larry Davids «Curb your Enthusiasm» sehen können; der Serie, deretwegen ich Sky überhaupt erst abonniert habe. Mit «True Detective» und «The Wire» stehen überdies grossartige Serienklassiker zum Wegbingen über öde Feiertage hinweg zur Verfügung, und wer mag (ich nicht) kann sich «House of Dragons» antun. Wirklich aufregend fand ich hingegen «This England», geschrieben von Michael Winterbottom und Kieron Quirke. Die Miniserie befasst sich mit Boris Johnsons Zeit als Premierminister und wie sie sich mit dem Auftritt von Corona überschnitt. Dargestellt wird Johnson von einem Kenneth Branagh in absoluter Höchstform. Auch das Cast um den Star herum überzeugt zu 100%. Noch einmal zu erleben, wie die Welt vor zweieinhalb Jahren zum Stillstand kam und sich an die vielen Ängste zu erinnern, die die Lockdown-Monate prägten, ist wirklich lohnend.
Genuss: «Paté Foix»
Die vergehenden Jahre haben mich vernünftiger gemacht und ich lasse mich gewissenshalber nur noch sehr selten dazu hinreissen, etwas ethisch Fragwürdiges wie Gänse- oder Entenleber zu verspeisen. Man kann ausgesprochen gut darauf verzichten, es geht einem nichts ab. Die sogenannten pflanzenbasierten Alternativen dazu habe ich bisher abgesnobbt, weil mir die ganze Idee nicht gefällt. Denn was zur Hölle soll falsch sein an einem simplen Butterbrot (siehe meinen Buchtipp?), hm? Wenn man normal ist, nichts. Meine Gspänlis von der Zürcher Wissenschaftsboutique Tastelab befassen sich hingegen jahrein, jahraus mit komplexen Geschmäckern und Texturen. Sie haben im Zug ihrer engagierten Arbeit eine App kreiert, mit der man sich fast das gesamte Wissen des zeitgenössischen Klassikers Modernist Cuisine von Nathan Myhrvold auf das Smartphone packen kann. Und zuletzt haben sie eine Menge Geschmack in ein neues Analogprodukt gepackt, es heisst Paté Foix und ist derzeit in Public Beta. Also nur vorbestellbar. Ich habe es getestet und meine Einschätzung lautet wie folgt: Nase recht neutral, leichte Butter- und Nussnoten. Hervorragende Textur, schöne Streichbarkeit, absolut auf einer Ebene mit Leber-Mousses oder -Patés, die man bei Globus bekommt. Dem Geschmack geht das Tierische und das Sündige natürlich ab, doch er hat seinen eigenen, an Kakao erinnernden Reiz und man sinnt ihm beim Geniessen gerne hinterher. In Kombination mit herb-astringierenden oder säuerlichen bis bitteren Noten (meine Idee wäre natürlich ein Vermouth-Gelée) absolut in Ordnung. Und das Beste: Es ist so teuer, dass man sich gleichermassen versündigt, als wäre vorab ein Tieropfer gebracht worden. Angesichts der Qualität scheint mir der Preis jedoch völlig in Ordnung. Empfehlung.
Lektüre: «Butter» von Asako Yuzuki
Habe es diesen Sommer in Cadaqués gelesen und verblüffte anschliessend eine Japan-Kennerin mit meinem Wissen über japanische Milchbauern: Butter von der japanischen Autorin Asako Yuzuki. Sie hat sie sich in ihrer Jugend besonders für Balzac interessiert und nahm später mit Werken von Banana Yoshimoto auch Anregungen aus ihrem Heimatland auf. Butter erzählt von der Journalistin Rika, die sich für die mutmassliche Serienmörderin Manako Kajii interessiert. Im Verlauf der Story lässt sich die Journalistin immer mehr von der verurteilten Kriminellen einwickeln – die Story geht auf reale Vorgänge zurück – und entdeckt parallel ihre eigene Leidenschaft für die fettig-salzige Küche, die entsteht, wenn man das Beste aus Frankreich mit dem Besten aus Japan vermählt.
Das Interesse der Journalistin hat dementsprechend physische, aber auch soziale Konsequenzen, was man in der Beziehung zur ihrer Freundin Reiko gespiegelt sieht, die eigentlich ein Alter Ego verkörpert. Natürlich steht insbesondere zur Debatte, ob die Serienmörderin am Tod der betroffenen Männer wirklich Schuld trug oder nicht. Eine Recherche-Reise in Japans Norden gibt Anlass zu schönen Reflexionen über das Leben im Allgemeinen, intime Passagen über das Arbeitsleben einer Frau in der japanischen Medienindustrie bringen ein paar sehr tiefe Einsichten in die patriarchalische Gesellschaft Nippons auf den Tisch. Gleichzeitig bleibt der Appetit wegen der fortwährenden Kocherei stets angeregt. Tolles Buch, Empfehlung für alle, die gern Kulinarik mit Literatur verbinden, aber von klischeehaft kochbegeisterten Kommissaren längst genug haben.
Butter, Asako Yuzuki, Übersetzung Ursula Gräfe, Büchergilde. Ich empfehle explizit den Offline-Einkauf von Büchern – mein Haus der Wahl dafür ist Never Stop Reading an der Spiegelgasse 18 in Zürich.