Sake Charly Iten
Foto: ci art affairs

Charly Iten – Der Sake-Guru der Gastronomen

Sake ist im Kommen – denn mit so manchem Gericht vermählt er sich besser als Wein und macht sich toll in Cocktails. Höchste Zeit für ein Treffen mit Charly Iten, Japanologe, Master Sake Sommelier und Berater für die Gastronomie.
«So dürfte Sake vor dreihundert Jahren geschmeckt haben», sagt Charly Iten während unseres Treffens in seinem Degustationsraum in Unterägeri. Der studierte Japanologe und Kunsthistoriker hat mir eben ein Glas seines derzeit von ihm favorisierten Hanatomoe Sugi Barrels eingeschenkt. Der Duft ist ein Gedicht; hier treffen sich subtile Fermentationsnoten, wie man sie von Sake kennt, mit einer Note von Zedernholz, wie sie Zigarrenkistchen aufweisen. «Die Japaner haben Sake früher in Fässern aus Zedernholz transportiert und aufbewahrt, aus denen auch zum Trinken abgezapft wurde», erzählt Iten. Deshalb habe Sake früher ganz intensiv nach dem Harz des noblen Nadelbaums geduftet und geschmeckt. Ich probiere den nächsten der raren Sake, die Charly Iten in Zusammenarbeit mit einem deutschen Importeur seit 2017 für die Schweiz verkauft: Der Katsuyama LEI mit Sapphire Label duftet traumhaft intensiv nach frischer Honigmelone und löst den Duft auch als Geschmack auf der Zunge ein. Als drittes Produkt probiere ich den spannenden Rosé-Sake Rihaku Caro Pink, für dessen leicht pinke Färbung ein schwarzer Reis verantwortlich ist, die fürs Fermentieren benötigte Hefe wird aus Pfingstrosenblüten gewonnen.

Karriere im Zeichen des Reiskorns

Während vieler Jahre befasste sich Charly Iten nur privat mit Sake; beruflich war er nach seinem Doktorat als Assistent an der Uni Zürich und für das Auktionshaus Koller als Kunsthistoriker tätig. «Japan ist das Thema meines Lebens, und mein erstes Schlüsselerlebnis mit Sake hatte ich schon 1997», erinnert er sich. Freunde hätten ihm zum ersten Mal einen gekühlten Premium-Sake eingeschenkt; zuvor hatte er 1993 bereits Sake verkostet, als in Zürich gerade ein Japan-Jahr stattfand, dem sich zahlreiche Kulturinstitutionen angeschlossen hatten. In Sushilokalen trank man Sake damals noch erhitzt – den starken Hefegeschmack, der dabei zutage tritt, hielt man für exquisit. «Der erste kühle Sake war um Welten besser.»
Charly Iten
Charly Iten, ci art affairs

Über die Jahre und zahlreiche grosse Reisen nach Japan hinweg sammelte Charly Iten immer mehr Wissen an und probierte immer seltenere Produkte, bis er 2018 sogar Master Sommelier wurde, nachdem er in London eine herausfordernde Sake Challenge bestanden hatte. Heute ist Charly Iten Mitglied der internationalen Vereinigung der Sake-Sommeliers (SSA). Die dafür erforderlichen Kurse seien unter anderem so lehrreich gewesen, weil die Schüler dazu angehalten waren, immer wieder die Eignung von Wein und Sake als Begleiter unterschiedlicher Speisen zu beurteilen.

Sake ist Harmonie und Wissenschaft

Sake hat beim Foodpairing gewisse Vorteile gegenüber Wein, weil er in der Lage ist, Umami-Elemente besser zum Tragen zu bringen. Wein hat im Vergleich zu Sake viel mehr organische Säuren (Weinsteinsäure, Äpfelsäure, Tannin), die der Empfindung von Umami (Glutaminsäure) auf unserer Zunge abträglich sind. Sake hingegen enthält mitunter aufgrund der Zuhilfenahme von Koji-Pilzsporen als Fermentations-Starter bereits Umami und ergänzt sich deshalb besser mit MSG-haltigen Speisen. Weiter kann Sake von Bitternoten bis zu leichter Säure ein äusserst spannendes Spektrum von Empfindungen auslösen.
Aber was genau ist Koji? Nun, das ist Reis, der mit einem bestimmten Pilz behandelt wurde. Und über den sollten Gourmets mit einem Interesse am aktuellen Geschehen in der Kulinarikbubble unbedingt Bescheid wissen. Der lateinische Name des für die Behandlung nötigen Pilzes lautet Aspergillus Oryzae, und er verrät die Zugehörigkeit seines Trägers zur Familie der Schimmelpilze; er ist jedoch einer von denen, die dem Menschen gut bekommen, wenn man korrekt mit ihm umgeht. Wir kennen das vom Camembert und vom Gorgonzola, aber auch vom Penicillin oder dem Salami.
Für die Produktion von Sake wird gedämpfter Reis mit den Sporen des Aspergillus Oryzae «geimpft», anschliessend lässt man die Sporen austreiben und den ganzen Reis mit einem unsichtbaren Myzel aus dem Pilz durchwachsen. Erst dann wird der mit Pilz behandelte Reis mit konventionell gedämpftem Reis gemischt. Und natürlich ist das kein ganz normaler Reis – er wird vor der Fermentation poliert, um die etwas rauhe Haut um den Stärkekern zu entfernen. Es gilt: Je höher der Poliergrad, desto leichter verfügbar ist die Stärke für den Koji-Pilz und die Hefen. Im Teamwork erzeugen Koji, gedämpfter Reis und Hefe den Umami-Geschmack und den Alkohol, die gemeinsam das Sake-Erlebnis ausmachen. Dabei können wilde lokale Hefen oder Zuchthefen im Spiel sein, wobei es auch vom Aspergillus Oryzae verschiedene Unterarten gibt.
Koji Sake Charly Iten
Um sein Wachstum zu ermöglichen, entschlüsselt der Koji-Pilz verschiedene Zucker und schmackhafte Aminosäuren der im Reis enthaltenen Stärke. Man könnte den Vorgang mit dem Mälzen von Gerste für das Bierbrauen vergleichen. Sind die Zucker erst einmal frei zugänglich, können sich Hefen über diesen hermachen und eine Fermentierung starten, also den Zucker verdauen und dabei ihre bekannten «Abfallprodukte» Kohlensäure und Alkohol herstellen. Koji, also behandelter Reis, ist demnach Ausgangsprodukt von Sake, und wie Charly Iten sagt, ist der Sake desto hochwertiger, je mehr Koji dafür verwendet wurde. Der Mindestgehalt liegt schon mal bei 15 Prozent für Premium-Sake.

Koji oder Koji-Pilzsporen werden in der Spitzengastronomie derzeit für allerhand kulinarische Raffinessen verwendet, so kann man damit den Geschmack von Fleisch schneller verbessern als durch Trockenreifung, man kann aber auch aus gehackten Zwiebeln und Koji ganz einfach eine sensationelle Würzpaste herstellen. Es lohnt sich, im Netz darüber nachzulesen.

Der Reisende und sein Handel

Schon 2017 fühlte sich Charly Iten dazu bereit, sein Sake-Wissen mit anderen zu teilen. Er rief Kurse ins Leben und gibt heute als Co-Dozent mit seinem österreichischen Kollegen Suvad Zlatic im Tiroler Städtchen Landeck regelmässig Lehrgänge, bei denen man sich zum Sommelier zertifizieren lassen kann. «Nur» Sommelier zu sein und sich in die unzähligen Aromenprofile einzuarbeiten, die in Japans Sake-Brauereien so gepflegt werden – das war ihm jedoch nicht genug. «Ich reiste auch nach Japan und arbeitete in einer Sake-Brauerei, das war eine ziemlich physische Sache», erzählt er von einer seiner Reisen. «Besonders wegen des grossen Kontrastes zwischen kühlen fünf Grad in der Brauerei zur Haupt-Brausaison im Winter und dem Koji-Raum, wo Reis bei feuchten 35 Grad mit dem Koji-Pilz zusammenkommt.» Man muss dazu wissen, dass Manufaktur-Sake ohne industrielle Kühlung nur im Winter gebraut werden kann, weil dann die Fermentation der Reismaische kontrollierter abläuft. Die grossen, industriellen Hersteller dagegen verfügen über integral gekühlte Produktionsanlagen und können ganzjährig brauen.
Sake Charly Iten
Foto: ci art affairs
Am liebsten befasst sich Charly Iten jedoch mit dem Präsentieren und Distribuieren seines etwa 90 Positionen umfassenden Sake-Sortiments. Man kann bei ihm als Privatkunde derweil nicht nur einkaufen, sondern auch von seinem umfassenden Wissen profitieren. «Ich liebe es, zu beraten und meinen Kunden mehr als nur die Oberfläche des Produkts zu vermitteln.» Dass derzeit Sake auch in der Gastronomie immer gefragter wird, ist teilweise Charly Iten zu verdanken, denn er lobbyiert unermüdlich für die raffinierten Pairings, die Sake potenziell ermöglicht. «Wenn meine Gastro-Kunden Ideen und Inspiration benötigen, organisiere ich für die gesamte Crew des Lokals eine Grundschulung und erkläre auch, wie die Eigenschaften der einzelnen Sakes an den Gast herangetragen werden müssen.»
Im Rahmen der zweieinhalbstündigen Workshops wird darauf eingegangen, wie die Küche den Sake-Positionen auf der Getränkekarte entgegenkommen kann. Zu finden sind von Charly Iten vertriebene Sake zum Beispiel im Vitznauerhof, wo der bekannte Küchenchef Jeroen Achtien immer mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht; aber auch in Bad Ragaz, wo Barchef Frank Grosser aufregende Drinks mit Sake mixt und im Asia-Restaurant Namun Sake zu den raffinierten Speisen getrunken wird. Am meisten Spass dürfte es jedoch machen, ein paar Positionen zu sich nach Hause zu ordern und mit Freunden eine kleine Degustation zu veranstalten.
Website und Shop von Charly Iten

Koji kaufen kann man z.B. bei Kojiron.

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