Daniel Bolliger
Foto: Willy Spiller

Daniel Bolliger – Lead-Kurator photoSCHWEIZ

Wo trifft «Flirt» auf «Zeitzeugen», «Morgenerwachen» auf «Melting Diamond» und «Rot-Blau» auf den «Rekrut im Homeoffice»? An der photoSCHWEIZ – der grössten Werkschau für Fotografie in der Schweiz, die Jahr für Jahr seinen Besuchern einen umfassenden und repräsentativen Überblick über das aktuelle fotografische Schaffen in der Schweiz verschafft. Letzte Woche trafen wir Lead-Kurator Daniel Bolliger, der uns in einem Interview seine Perspektive aufzeigte und über Hintergründe informierte.

Daniel Bolliger, Sie sind der Lead-Kurator der photoSCHWEIZ und werden auch der «Bild-Flüsterer» genannt. Was ist Ihre Aufgabe an der photoSCHWEIZ?

Ich bin seit drei bis vier Jahren Lead-Kurator für die photoSCHWEIZ und damit verantwortlich für die Auswahl und Qualität der Anmeldungen und die Vergabe der Wildcards. Prinzipiell agieren wir aber als Team. Gemeinsam mit den beiden Co-Kuratoren Neomi Gamliel und Joshua Amissah kuratiere ich alljährlich die Ausstellung. Ich entscheide also nicht allein, was gezeigt wird und kann meine Kollegen auch nicht überstimmen, wenn Sie beide gegen einen Aussteller stimmen.

Und was hat es mit dem «Bildflüsterer» auf sich?

<schmunzelt>. Ich bin recht feinfühlig und spüre gut, ob ein Bild was hat oder nicht, ob da Herz und Leidenschaft dahintersteckt, das spüre ich bei einem Bild. Wahrscheinlich meinen die Leute das, wenn sie mich als «Bildflüsterer» bezeichnen. Jedenfalls habe ich eine klare Vorstellung davon, was mir gefällt und merke einem Foto sofort an, was da mitschwingt.

Wie geht das mit den Wildcards? Wer vergibt sie? Nach welchen Kriterien wird da entschieden?

Wir Kuratoren vergeben die Wildcards. Jedem von uns stehen fünf davon zu. Damit gehen wir gezielt Fotografen und Fotografinnen an – etablierte und solche, die auf dem Weg sind, zum Beispiel Absolventen der ECAL (Ecole Cantonale d’Art de Lausanne). Die sind in der Regel ein Garant für exzellente Arbeiten.

Persönlich schaue ich darauf, ob die Fotografin oder der Fotograf auch eine gute Serie zeigen kann. Ein einzelnes Bild sagt noch wenig. Erst an einer Serie erkennt man, wo die Person steht bzw. womit sich die Fotografin auseinandersetzt.

Ich frage mich: Was bewegt den Künstler? Welche persönliche Welt wird dargestellt? Mich interessieren Bilder, die das Innere nach aussen bringen, die tiefsten Gedanken zeigen, eine eigene Bildsprache haben, die echt und authentisch ist. Ich glaube dafür habe ich ein gutes Gespür.

Meine fünf Wildcards an der kommenden Werkschau sind die folgenden:

Nikolai Frerichs
Nikolai Frerichs
Mahalia Taje Giotto
Mahalia Taje Giotto
Lola Álvarez
Lola Álvarez
Céline Müller
Céline Müller
Hussein Alusch
Hussein Alusch

Hier noch der Link zu allen WILDCARDS auf der photoSCHWEIZ Webseite. 

Wie gehen Sie inhaltlich vor? Gibt es alljährlich ein Thema oder bevorzugen Sie bestimmte Themen?

Wir bestimmen kein Thema, ganz im Gegenteil: wir sind sehr offen. Unser Konzept ist themenfrei. Von Architektur über Landschaften und Menschen gibt es meist alles, das uns interessiert und an der Werkschau zu sehen ist. Das Spannende ist, dass die Menschen auf eine Art ähnliche Prozesse durchmachen und diese sich in der Fotografie reflektieren.

«Mich interessieren progressive Arbeiten. Klassisch als Fotografie umgesetzt, aber auch in aufregenden Spielarten an der Schnittstelle zu neuen Medien und Technologien. Wichtig ist, dass die Arbeiten Tiefgang haben – und eine Message. Und dass sie visuell spannend sind. So profan es sich liest, aber ein gutes Bild bleibt ein gutes Bild.»

Haben sich diese Themen über die Jahre geändert? Können Sie einen Trend ausmachen?

Was ich beobachte, ist, dass die Leute zunehmend ihre eigene Identität suchen. Das scheint mir derzeit das grosse Thema. Stichworte wie «Anything goes» und queer. Die Diversität nimmt immer mehr zu, es wird vielfältiger und persönlicher. Die Kunst ist dabei auch gerade der Bereich, in dem man sich austoben kann. Das Genderkonstrukt wird immer mehr hinterfragt. Dies zeigt sich auch darin, dass die Ausstellung «QUEER – Vielfalt ist unsere Natur» im Naturhistorischen Museum in Bern mit dem Prix Expo 2021 der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) ausgezeichnet wurde. Ich durfte dort selbst auch eine Installation machen und kann den Besuch der Ausstellung, die aufgrund der Auszeichnung bis zum 19. März 2023 verlängert wurde, nur empfehlen. Es ist auch eine spannende Plattform für Eltern mit ihren Kindern.

Danke, für den Tipp.

Könnten Sie uns bereits einen Sneak Peek auf die diesjährige Show an der photoSCHWEIZ 2023 geben?

Wir werden auch dieses Jahr wieder 200 Aussteller zeigen können. Generell finde ich ist die Qualität der Anmeldungen über die Jahre immer besser geworden. Wer sich konkret schon etwas anschauen möchte, der bekommt auf der Website der photoSCHWEIZ über die Wildcards bereits einen Einblick.

Die «photoSCHWEIZ» findet vom 6. – 10. Januar 2023 in der Halle 550 in Oerlikon statt. Ich freue mich über alle, die den Weg zu uns finden.

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