Andreas Böni

Bargespräch mit Andreas Böni Stv. Chefredaktor im Sport-Ressort der Blick-Gruppe

Wir treffen Andreas Böni (39) im IGNIV im Zürcher Niederdorf. Während Philippe Koessl, der Newcomer Bartender of the Year 2022, hinter der Bar das Mise en place für die kommende Schicht vorbereitet, kommen wir mit Böni, wie ihn alle im Medien-Zirkus nennen, ins Gespräch.

Wer bist Du?

Ich bin stv. Chefredaktor im Sport-Ressort der Blick-Gruppe und beschäftige mich jetzt seit 20 Jahren beruflich mit Fussball. Als Journalist bin ich mal nett, mal laut, mal leise, mal fordernd und mal kritisch. Privat bin ich nur nett. Meist. Ich bin verheiratet und Vater von zwei Jungs. Seit ich denken kann, bin ich fussballbegeistert.

Hand aufs Herz, Du konntest nicht Fussball spielen und bist darum Reporter geworden.

Mein Talent hat für einen Einsatz in der 2. Liga gereicht. Mit 20 habe ich dann bereits hauptberuflich als Fussball-Journalist begonnen. Und dann hatte ich nicht mehr die Zeit für beides, weil ich immer am Wochenende arbeitete und viele Abschluss-Dienste machen musste.

Wie bist Du Fussball-Reporter geworden?

Mit 14 Jahren begann ich, für die Publikationen «Alttoggenburger» und «Wiler Zeitung/Volksfreund» zu schreiben. Über die 2. Liga im Fussball und über die 1. Liga im Eishockey mit dem EC Wil und dem EHC Uzwil. Vier Jahre lang machte ich dies mit den altertümlichen technischen Voraussetzungen von damals – das Fax war dabei ganz wichtig. Mit 18 Jahren wurde ich vom Blick angefragt, ob ich nicht freier Mitarbeiter werden wolle. Ich war damals im letzten Jahr meiner Latein-Matur (in der Parallelklasse war übrigens Simon Ammann, der vierfache Olympiasieger). Ich wollte eigentlich Germanistik studieren, bin dann aber immer mehr und mehr ins Thema hineingerutscht. So begann ich die Ringier Journalistenschule mit drei Rotations-Stationen: Erst beim Blick, dann ging ich zu Facts und zum Abschluss nach Hamburg zu SPORT BILD. Nach den drei Monaten in Hamburg kam der Chef dort zu mir und bot mir an zu bleiben. Das machte ich.

Aus der Provinz in die Bundesliga, in eine der grossen fünf Ligen Europas. Was hat Dich dann wieder in die Provinz verschlagen?

Ja, der Schritt als kleiner Toggenburger 2004 von Bazenheid nach Hamburg war gross. Aber in vier Jahren beim Axel-Springer-Verlag lernt man viel. Und wenn man mit Deutschen Streit austragen kann, dann sind Auseinandersetzungen in der Schweiz später ein Kindergeburtstag. Bei uns sucht man von Anfang an den Kompromiss, während man in Deutschland erst mal zusammenrasselt und erst dann einen Schritt retour macht.

Ein Grund, warum Du Dich mit 25 schon bereit fühltest für den Job des Fussballchefs?

Ja, sicher. Meine Bedenken waren damals 2008 zu Beginn gross, denn mein Team war zu diesem Zeitpunkt zwischen 37 und 57 Jahren alt. Als Vorgesetzter 12 Jahre jünger zu sein als der jüngste Mitarbeiter, stellte ich mir schwierig vor. Und trotzdem wusste ich, dass mein Rüstzeug aus Deutschland zur Aufgabe passt. Wichtig war für mich, dass mich Marc Walder persönlich holte. So spürte ich bei Ringier das Vertrauen bis ganz nach oben.

Ein Teil des Teams von damals ist heute noch mit dabei. Das Team konnte damals gut mit einem jungen Chef umgehen?

Es gab sicher Skepsis. Ich sah bei meinem damaligen SPORT BILD-Chef Pit Gottschalk, dass er immer der erste war, der kam – und der letzte war, der ging. Das war meine Herangehensweise am Anfang: Dass ich mittels hoher Büropräsenz dem Team vorlebte, was ich mir vorstellte. Geführt habe ich ein bisschen anders: Schliesslich funktionieren Schweizer weniger über Hierarchie als Deutsche. Dadurch, dass wir hierzulande eher den Konsens suchen, ist Führung in der Schweiz anspruchsvoller. Bestimmt habe ich aber einige deutsche Gepflogenheiten «eingeschweizert». Ich führte das Team schweizerisch auf einer kollegialen Ebene und verlangte deutsche Gründlichkeit beim Angebot. Inzwischen bin ich bestimmt dominanter als damals.

Die Schweizer Fussballer sind in der Breite in der Bundesliga angekommen, als Du bei SPORT BILD warst. Haben sie Dir den Einstieg zu verdanken?

Nein, natürlich nicht. Null Prozent. Die Nachwuchsarbeit der Schweizer Vereine trug ihre Früchte. Aber wir Schweizer werden in Deutschland immer nett empfangen. Ich hörte oft: «Oh, du klingst so schön nach Urlaub…» Die Deutschen begrüssen uns mit offenen Armen, während wir Schweizer das unverständlicherweise umgekehrt nicht tun. Da ich bei SPORT BILD Bundesliga-Teams wie Borussia Mönchengladbach, Hertha BSC, Energie Cottbus oder Hansa Rostock betreuen durfte, fuhr und flog ich von Hamburg aus quer durch die Republik. Diese unterschiedlichen deutschen Mentalitäten von Ost bis West kennenzulernen, das ist rückblickend ein Geschenk.

Gibt es aus dieser Zeit noch Kontakte, bei denen Du heute einfach durchrufst?

Ja, klar. Lothar Matthäus zum Beispiel war damals Kolumnist bei SPORT BILD. Mit ihm traf ich mich in Hamburg zum Essen und unsere Beziehung hielt über die Jahre. Als er in Israel als Trainer aktiv war, besuchte ich ihn für den Blick. Ebenso in Bulgarien, als er dort Nationaltrainer war, oder in München. Ob WM-Final oder sein 60. Geburtstag, er gibt mir eigentlich immer Auskunft. Wir haben über die Jahre ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. Davon gibt es einige.

25 Jahre Fussballerfahrung. Da gibt es viele lustige, traurige, komische und kuriose Geschichten. Welche kommt Dir direkt in den Sinn?

Mir kommen spontan zwei Geschichten mit Reiner Calmund, dem ehemaligen Sportchef von Bayer Leverkusen, in den Sinn. Früher ein XXL-Manager, der in letzter Zeit nach seiner Magen-OP von 180 auf 90 Kilos abgespeckt hat. 2006 traf ich ihn für ein Hintergrundgespräch Wir haben uns in einem Restaurant ausserhalb Kölns verabredet – er ass da zu Mittag, 45 Minuten länger als geplant. Als er endlich kam, meinte er, dass ich in seinen Q7 einsteigen solle, schliesslich könnten wir auch während der Fahrt sprechen. Er stieg nach einer gewissen Zeit vor einem Einfamilienhaus aus. Ich wunderte mich, was er bei der winkenden Frau wollte und folgte ihm. Er setzte sich im Raum auf einen Stuhl und streckte alle viere von sich. Er bekam eine Mani- und Pedicure. Ich sag Dir, das war ein Bild. Schade, dass ich damals kein Handy mit Kamera hatte…(lacht) Er redete und redete, während seine Hände und Füsse wieder auf Vordermann gebracht wurden. Auch ich durfte dann noch meine Hände machen lassen.

Das zweite Treffen?

War in Hamburg, im Hotel Le Méridien. Wir trafen uns um 18 Uhr, ich rechnete mit einem Drink. Eine Freundin feierte an diesem Abend ihren Geburtstag. Ich sagte ihr, dass ich gegen 21 Uhr auftauchen würde. Aber Calli bestellte und bestellte, am Schluss war es ein Sieben-Gänge Menu und ich tauchte dann gegen 2 Uhr bei der Freundin auf. Calmund ass nicht nur sieben Gänge, er erzählte auch sieben Stunden.

Von Deiner vertrauensvollen Arbeit profitiert heute der Blick-Leser.

Als Journalist ist dein Telefonbuch auch dein Marktwert. Wenn die Leute ein Gesicht vor Augen haben, wenn Du anrufst, ob Spieler, Spielerberater, PR-Manager von Stars oder ganz einfach ehemalige Fussballer. So schrieb Stefan Effenberg an der WM als Kolumnist für den Blick. Oder Manuel Neuer gab ein SonntagsBlick-Interview nach den Anschlägen von Paris. Dank früherer Kontakte war ich mehrfach im Champions-League-Studio von Sky oder auch sonntags Gast beim Doppelpass.

Blick war und ist im Sport immer eine Institution für die Leser. Das Leseverhalten hat sich in den letzten zehn Jahren fundamental verändert. Wie hat sich Dein Job verändert?

Wichtig ist, dass der Inhalt gefragt ist. Ob auf Papier, dem Computer, dem Tablet oder auf dem Handy. Der Kanal ist für mich nicht entscheidend. Der Druck ist aber enorm gestiegen. Früher schrieb ein Journalist in der Regel ein bis zwei Geschichten pro Tag. Die erste Sitzung gab es um 10.30 Uhr. Heute sind online bis zu diesem Zeitpunkt schon so viele Storys erschienen, die sonst am nächsten Tag in einer ganzen Zeitung stehen. Früher ging man abends entspannt zum Spiel – heute schreibt man bei relevanten Spielen am Tag bestimmt drei, vier Geschichten und füttert damit die Mobile- und Onlinekanäle. Und arbeitet dann bis nach Mitternacht – um auch schon den nächsten Morgen mit Folge-Artikeln abgedeckt zu haben. Marc Walder sagte: Redaktionen waren bis vor 15 Jahren ein Ponyhof. Er hat Recht damit. Und doch ist der Sportjournalisten-Job auch heute ein Traumjob, schau Dir allein die Reisen an.

Muss man die Geschichten heute anders denken?

Ja, das ist so. Eine Geschichte im Bewegtbild funktioniert nicht analog zum geschriebenen Wort. Wir haben auch gelernt, dass Infografiken, die in Print erscheinen, in keinem anderen Kanal funktionieren. Nicht mobile, nicht online und schon gar nicht als TV-Beitrag. Die geistige Flexibilität des Journalisten ist gefordert.

Vor einiger Zeit haben wir uns im Blick-Newsroom getroffen und schon damals hiess es, dass der Journalist von heute mindestens zwei Disziplinen beherrschen muss – Bild und Text oder eben Video und Text.

Heute ist die Voraussetzung, dass man schreiben kann, Bewegtbild versteht und Fotos machen kann. In Schlagzeilen denken und sich mit Social Media beschäftigen, hilft sicherlich auch.

Du sprichst die «Generation TikTok» an. Auch die Sportler gehören mittlerweile zu dieser Generation. Wie schaffst Du es, am Ball zu bleiben?

Dranbleiben, ausprobieren, nicht stehen bleiben. Klar: Je älter man wird, desto schwieriger ist es. Man entfernt sich von den Spielern. In meiner Generation waren Marco Streller, Alex Frei, David Degen oder Beni Huggel aktiv. Zu ihnen habe ich heute noch einen guten Draht. Bei den heutigen Spielern ist die persönliche Inszenierung viel wichtiger geworden – sei es auf Instagram oder TikTok. Aber selbst wenn man altersmässig weiter entfernt ist, kann man trotzdem ein gutes gemeinsames Einvernehmen haben. Es geht immer um den menschlichen Umgang miteinander.

Wie siehst Du die nähere Zukunft von den Formaten, die ihr immer wieder ausprobiert?

Einige werden funktionieren und die anderen verschwinden wieder. Das Schöne ist, dass wir die Möglichkeit haben, etwas auszuprobieren. Wir verlieren bei der Printausgabe an Reichweite, die wir aber mit den anderen Kanälen wieder einspielen. Die Blick-Gruppe hatte noch nie mehr Leser als jetzt. Aber trotzdem steht über allem die Frage der Monetarisierung. Es bleibt zu hoffen, dass die Werbe-Einnahmen weiter steigen – gerade im Digitalen.

Verändert sich Deine Rolle zu einem Sportler dahin, dass du mehr um Rat gefragt wirst?

Das ist sicher so. Zum Beispiel mit Alex Frei fetzte ich mich in seiner aktiven Zeit regelmässig. Als er seinen Nati-Rücktritt mitten in einer EM-Kampagne gab, war die grosse Schlagzeile: «So nicht Frei!» Wenn wir heute zwischendurch mal reden, dann nicht nur über Fussball, sondern auch übers Leben. Auch da sprechen wir über Vertrauen. Als Sportjournalist muss man ein gutes Verhältnis zum Sportler haben. Aber dabei immer bedenken, dass es Arbeitsbeziehungen sind. Bilde Dir nie ein, dass du der Freund der Sportler bist. Am Schluss gibt es immer wieder Situationen, die kritisch werden. Das muss jedem klar sein. Die privaten Freunde kennen deine eigenen vier Wände zuhause.

Vertrauen als Schlüssel. Wieviel Zeit bleibt in Deinem Alltag, dieses aufzubauen?

Wenig. Früher bei SPORT BILD war eine Aufgabe, sich jede Woche mit jemandem aus dem betreuten Verein zum Mittagessen zu treffen. Nur regelmässige Treffen schaffen Vertrauen. Heutzutage haben die Journalisten kaum mehr Zeit für so eine Aufgabe. Leider.

Führt das langfristig nicht zu mehr Missverständnissen?

Klar. Und auch dazu, dass Fussballer von den Klubs immer mehr abgeschottet werden. Dabei bin ich überzeugt, dass ein direkter Austausch von Spielern und Journalisten der Sache dient. Ich führe 98 Prozent meiner Gespräche «off the record und autorisiere meine Aussagen fast immer. Ich bin jemand, der das Recht aufs eigene Wort hoch einstuft. Ich schreibe nicht einfach, dass ein Trainer nicht alle Tassen im Schrank hat, ohne dass der Sportler mir grünes Licht dafür gegeben hat. Nicht alle Journalisten sehen das gleich.

Du hast eben erzählt, dass Freunde Deine vier Wände kennen. Welcher Sportler war bei Dir zu Hause?

Keiner.

Steffi Buchli ist Sport-Chefredaktorin, du ihr Stellvertreter. Hat Ringier hier de 5er und sWeggli?

Ich hoffe es. Wir mögen uns menschlich und ergänzen uns inhaltlich glaube ich sehr gut. Neben den beiden Schweizer Haupt-Sportarten (Eishockey und Fussball) hat sie mehr Erfahrung mit Bewegtbild, ich mehr mit Text. Sie ist eine Frau, ich ein Mann. Ich freue mich darauf, dass wir noch einiges gemeinsam bewegen werden.

Du kommst den Sportlern und Trainern ja emotional auch nahe.

Wir sind alles Menschen. Wenn Ottmar Hitzfeld erzählt, wie sein Bruder vor dem WM-Achtelfinal gegen Argentinien starb, geht das auch mir als Reporter nah. Oder als das Kind von Gladbach-Stürmer Václav Svěrkoš als Totgeburt zur Welt kam und er mir ein Interview dazu gibt, beschäftigt das auch. Für viele ist so ein Interview ein Teil der Verarbeitung, ich würde nie auf jemanden Druck ausüben in so einer Situation. Extrem war auch, als mir Bundesliga-Legende Timo Konietzka erzählte, dass er seinen Tod mit Exit plane – und diesen Plan dann ein Jahr später umsetzte. Das relativiert vieles.

Auf Deinen Reisen als Journalist durftest Du einige Städte besuchen. Welche Städte haben Dich gastronomisch überzeugt, überrascht oder fasziniert?

Chisinau in Moldawien. Mich faszinieren Orte, die ich selbst nie besuchen würde. Ein Länderspiel in London oder Rom ist langweilig, weil ich dort auch privat hinfahre. Gastronomisch gefiel mir Brasilien mit seiner Churrasco-Kultur sehr gut. In Russland war ich während der WM 2018 sehr überrascht, dass man auch in der Provinz wunderbar essen konnte. Und gerne mag ich es, wenn die Schweizer Nati in Irland spielt – irisches Rindfleisch schmeckt mir am besten.

Wenn Du zu Hause ein gutes Stück Fleisch auf dem Teller hast, was trinkst Du dazu?

Ein Glas kräftigen Rotwein. Länger im Fass gelagert. Aus dem Piemont, Spanien oder Argentinien.

Gibt es auch mal einen Gin Tonic zum roten Fleisch?

Bei mir ist der Gin Tonic der Longdrink Nummer 1. Als Essensbegleitung habe ich ihn aber noch nicht probiert.

Essen und Gin Tonic schon probiert?

Ja, ein Gin-Tasting und dazu passende Schokolade.

Die Bar-Kultur in Zürich gehört zu den besten Europas. Wir sitzen heute in der Bar von Andreas Caminada. Ein Rockstar der Schweizer Küche. Was haben Sportler mit Köchen gemeinsam?

Beide sind Künstler und beide müssen unglaublich viel trainieren und Entbehrungen in Kauf nehmen, bis sie auf einem Top-Level sind.

Wenn Du Dich jetzt auf die andere Seite der Bar stellst, was bekommen Deine Gäste?

Einen guten Gin Tonic bekomme ich immer hin. Gerne auch mal einen Pernod mit Wasser oder Orangensaft.

Wie muss ein Gin Tonic schmecken, damit Du sagst, er passt?

Gerne herb und rund. Aktuell geniesse ich zu Hause den Malfy Rosa, der natürlich weniger herb ist. Er passt für mich in die Zeit und so kann ich den Sommer verlängern.

#cheers und DANKE lieber Böni fürs Gespräch.

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